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Krise des chemischen Pflanzenschutzes (Teil 1)

Februar 2023 - Ein Kommentar zum Thema von Prof. Dr. Ralf-Udo Ehlers (e-nema GmbH) -

Die EU-Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) wurde im Juni 2022 von der EU-Kommission vorgeschlagen. Sie ist Teil der „Green Deal“ und „Farm to Fork“ Strategie der EU-Kommission, unter anderem mit dem Ziel der Reduktion des chemischen Pflanzenschutzmittel­einsatzes um 50% bis zum Jahr 2030.
Der EEP Abgeordnete des Europaparlaments Dorfmann (Südtirol) ist federführend bei der Organisation des Widerstands gegen diese Politik. Auch der Rat der Agrarminister mehrerer EU-Mitgliedsländer haben kürzlich die Annahme der SUR blockiert.

Meiner Meinung nach ist diese Blockade der SUR ein politisches Spiel, das ohne Auswirkungen und damit völlig nutzlos bleiben wird.

Der Grund: Die Krise des chemischen Pflanzenschutzes.

Infolgedessen werden wir wahrscheinlich auch ohne die SUR eine dramatische Reduzierung der chemischen Pestizide bis zum Jahr 2030 erleben. Warum?

  1. Die großen Innovationen der chemischen Pflanzenschutzmittel-Industrie liegen weit in der Vergangenheit. Die meisten Mittel, die heute auf den Markt gebracht werden, sind alte Wirkstoffe in neuen Mischungen, denen dann ein neuer Produktname gegeben wird. Das ist kaum eine Innovation, sondern eher eine Um-Etikettierung. Wirkliche Neuentwicklungen werden immer seltener.

  2. Kommen neuen Wirkstoffe auf den Markt, dann sind deren Wirkungsspektren eher begrenzt.
    In der Vergangenheit hatte fast jede Verbindung ein breites Wirkungsspektrum, heute ist die Einsatzmöglichkeit begrenzt. Zum Beispiel die Cyanthraniliprol-Saatgutbeize im Raps mit guter Wirkung gegen die Kleine Kohlfliege, aber kaum, bzw. nicht wirksam gegen den Rapserdfloh.

  3. Schädlinge, Krankheiten und Unkräuter entwickeln zunehmend Resistenzen gegen die Wirkstoffe.
    Infolgedessen verursacht die Anwendung vieler Wirkstoffe mehr Schaden als Nutzen aufgrund negativer Auswirkungen auf das antagonistische Potenzial am Agrarstandort. Man schädigt die natürlich-vorkommenden Regulatoren, statt eine Wirkung gegen den Schaderreger zu erzielen.

  4. Eine Folge davon ist, dass oft in immer kürzeren Abständen immer höhere Konzentrationen an chemischen Wirkstoffen eingesetzt werden, was zu Problemen mit Rückständen in Lebensmitteln führen kann.

  5. Einer der wichtigsten Gründe für den Rückgang der Pflanzenschutzmittel auf dem Markt hat strukturelle Gründe. Alle 10 Jahre müssen Pflanzenschutzmittel einer erneuten Zulassungsprüfung unterzogen werden. Die chemische Industrie zieht es jedoch vor, aus verschiedenen wirtschaftlichen und toxikologischen Gründen, die Mittel vom Markt zu nehmen. Sie lassen die Zulassungen einfach auslaufen, was wahrscheinlich der wichtigste Grund für weniger chemische Produkte am Markt ist.

  6. Die Kosten für die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs belaufen sich inzwischen auf ca. 400 Millionen Euro. Diese Investition zu amortisieren, wird heutzutage bei reduziertem Wirkspektrum immer schwieriger.

  7. Verbietet die EU bestimmte Wirkstoffe aus Umweltschutzgründen? Kaum. Man sehe sich die Liste der Substitutionskandidaten an (z.B. endokrine Disruptoren), von denen seit Jahrzenten kaum ein Wirkstoff verboten wurde.

Aus diesen genannten Gründen stehen der Landwirtschaft immer weniger geeignete Mittel zur Verfügung.

Einen Teil dieser Bekämpfungslücken kann der biologische Pflanzenschutz schließen. Anstatt jetzt den Marktzugang für biologische Pflanzenschutzmittel zu erleichtern, beharren die EU-Kommission und Mitgliedsstaaten jedoch auf ihrem altmodischen Zulassungssystem, das sich wesentlich an den Regeln für chemische Wirkstoffe orientiert und für biologische Mittel ungeeignet ist.

Der US-Markt hat davon profitiert, dass die EPA (Environmental Protection Agency) schon vor fast 30 Jahren eine eigene Abteilung für biologische Pflanzenschutzmittel eingerichtet hat.

Jüngste regulatorische Reformen in Brasilien haben dazu beigetragen, dass dieses Land inzwischen eine Vorreiterrolle beim biologischen Pflanzenschutz einnimmt.

Und Europa? Hier macht man es umweltfreundlichen Alternativen immer schwieriger statt leichter. Wann packt die EU-Kommission endlich radikale Reformen an?

Prof. Dr. Ralf-Udo Ehlers